Zwei Kinder toben sich auf ihren Skateboards aus.

Entwickelt sich mein Kind normal?

Junge Eltern stellen sich dennoch oft die Frage: Entwickelt sich mein Kind normal? Kinder- und Jugendpsychologe Urs Kiener über die Einzigartigkeit jedes Menschen.

Individualität entsteht bereits früh. Es gibt keinen Entwicklungsbereich, der bei allen Kindern genau gleich abläuft. Kein Verhalten, keine körperliche oder psychische Ausprägung ist bei zwei gleichaltrigen Kindern gleich ausgebildet. Auch Begabungen und Fähigkeiten unterscheiden sich von Kind zu Kind und entwickeln sich unterschiedlich rasch.

Es sind diese Unterschiede, welche die faszinierende Einzigartigkeit jedes Menschen ausmachen. Bereits Kleinkinder realisieren das und beginnen früh, sich als eigenständige Personen zu begreifen. Ab dem Schulalter vergleichen sie sich zunehmend mit ihren Kolleginnen und Kollegen und tauschen sich über ihre Wahrnehmungen aus. 

 

Einzigartigkeit versus Vergleich

Individualität zu leben und entfalten zu dürfen, geniesst in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Die Einzigartigkeit jedes Kindes schafft es aber auch, Eltern gehörig zu verunsichern. Gerade Ersteltern stehen mit ihrem Neugeborenen und den Herausforderungen der Erziehung oft recht allein da. Was liegt da näher, als das Verhalten und die Entwicklungsschritte des eigenen Kindes mit jenem der Kinder aus der Nachbarschaft oder mit den Erfahrungen und Erzählungen von anderen Eltern zu vergleichen? Meist misst man sein Kind an jenen, welche einzelne Fertigkeiten besser oder schneller beherrschen. Wenn das eigene Kind einige Monate später mit dem Sprechen beginnt oder motorische Fähigkeiten langsamer entwickelt als das Kind der Nachbarn, fragen sich Eltern schnell einmal besorgt: «Entwickelt sich mein Kind normal?» 

 

Was ist normal? 

Manchmal ist uns zu wenig bewusst, wie vielfältig das Spektrum «normaler» körperlicher und psychischer Entwicklungsschritte sein kann. Häufig orientieren wir uns an überlieferten, heute überholten Vorstellungen von Normalität. Ein gutes Beispiel dafür sind Schlafstörungen. Bei Kindern entstehen sie oft, weil Eltern falsche, seit Generationen überlieferte Vorstellungen davon haben, wie viel Schlaf ihr Kind benötigt. Der Volksmund empfiehlt zwölf Stunden für ein zwölf Monate altes Kind. Wie viel Schlaf ein Kind braucht, ist jedoch weitgehend biologisch vorgegeben und unterscheidet sich von Kind zu Kind. Es gibt keine Norm dafür, wie viel Schlaf ein Kind braucht. Einige Kinder benötigen vierzehn Stunden, anderen genügen neun Stunden. Übrigens verschwinden Schlafstörungen oft, sobald Eltern den persönlichen Schlafbedarf ihres Kindes begreifen und sich darauf einstellen, oder – mit anderen Worten – wenn es ihnen gelingt, eine Übereinstimmung zwischen dem Bedürfnis des Kindes und seinem Umfeld herzustellen. 

 

Orientierung für Eltern

Der Kinderarzt und die Kinderärztin, aber auch Mütter- und Väterberatungsstellen Kinder- und Jugendhilfezentren kennen die Gesetzmässigkeiten der «normalen» Entwicklung. Sie sind deshalb wichtige Ansprechpartner für Eltern, welche unsicher darin sind, ob sich ihr Kind innerhalb des breiten Rahmens der Norm entwickelt. Diese Fachpersonen können Eltern auch dabei unterstützen, wie sie den Bedürfnissen und Kompetenzen ihrer Kinder gerecht werden und wie sie die Kinder in ihrer Entwicklung unterstützen können.
Für eine erste Orientierung, oder wenn Sie auf der Suche nach einer geeigneten Fachstelle in Ihrer Nähe sind, empfiehlt sich die telefonische Elternberatung von Pro Juventute und der Elternnotruf (die Telefonnummern finden Sie in der Liste am Ende des Textes). Angebot - Elternnotruf Bei diesen Institutionen erhalten Eltern unkompliziert und kostenlos Beratungen, unter anderem zu Fragen zur Entwicklung ihrer Kinder. Diese telefonischen Angebote sind  rund um die Uhr erreichbar. Beide Institutionen bieten auch E-Mail-Beratungen an. Beim Elternnotruf können zudem persönliche face-to-face Beratungen vereinbart werden.
In allen Landesteilen gibt es spezialisierte Beratungsstellen. Deren telefonische Erreichbarkeit ist meist beschränkt. In der Regel ist auch die Zuständigkeit kantonal oder regional eingeschränkt.

 

Wenn ein Kind aus dem Rahmen fällt 

Eltern möchten das Beste für ihre Kinder. Viele wünschen sich insgeheim, dass die Kinder zumindest gleich erfolgreich und begabt oder sogar erfolgreicher und begabter sind als sie selbst. Dabei wird das Phänomen «Regression zur Mitte» ausgeschaltet: Je erfolgreicher und begabter die Eltern sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder weniger erfolgreich und weniger begabt sind (und umgekehrt). Es ist also normal, dass Kinder auch weniger oder anders begabt sein können als die Eltern. Akzeptieren Sie deshalb, dass Kinder nur ihr eigenes Leben leben können. Es ist unsere Aufgabe, sie bei der Entfaltung ihrer je eigenen Begabungen zu unterstützen. Bei Sorgen oder Zweifeln an der Entwicklung Ihres Nachwuchses kontaktieren Sie bitte Ihre Kinderärztin bzw. Ihren Kinderarzt oder die Mütter- und Väterberatungsstelle in Ihrer Nähe.

 

 Info

Weitere Informationen

Elternberatung rund um die Uhr: Telefon 058 261 61 61

Pro Juventute Elternnotruf rund um die Uhr: Telefon 0848 35 45 55

Weitere Fachstellen für Eltern (147.ch): Suchen Sie Ihre regionale Beratungsstelle

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