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Feste feiern

Weihnachten, Silvester, Neujahr: Es ist die Zeit der Feste. Doch weshalb feiern wir Feste überhaupt? Das weiss Walter Leimgruber, Professor an der Universität Basel.

Porträtfoto von Prof. Dr. Walter Leimgruber, Interviewpartner des Magazinbeitrags «Feste feiern».

Herr Leimgruber, was wird unter einem Fest verstanden?

Das deutsche Wort «Fest» geht auf den lateinischen Begriff «festum» zurück. Ursprünglich bezeichnet der Begriff jene Tage, die für das Feiern religiöser Handlungen vorgesehen sind. Feste sind allgemein Ereignisse, die sich vom Alltag abheben. Die Menschen befreien sich für eine begrenzte Zeit von den Pflichten und Sorgen des täglichen Lebens. 

Was zeichnet ein Fest aus?

Zu einem Fest gehören ausgelassene Momente mit Musik und Tanz, Festschmaus und Schmuck, aber auch besinnliche Augenblicke wie eine feierliche Ansprache oder eine bewegende Zeremonie. Grenze und Entgrenzung sowie Ordnung und Chaos sind Gegensatzpaare, von denen das Fest lebt. Viele Feste können als Zeichen des Ausbrechens aus den Zwängen des Alltags verstanden werden. Ein gutes Beispiel für ein solches Fest ist die Fasnacht, in der einst die Welt auf den Kopf gestellt wurde: Man übernahm für einige Tage die Herrschaft über die Stadt, verspottete Obrigkeit und Kirche, feierte masslos und ausschweifend. Früher waren Feste der Bauern und des einfachen Volkes deshalb bei den Herrschenden auch gefürchtet. Sie konnten Ausgangspunkt von Aufständen sein.

Warum feiern wir Feste?

Das Fest entstand wohl aus dem Bedürfnis der Menschen heraus, sich angesichts des Todes ihres Lebens zu versichern. Sie unterwarfen sich höheren Mächten und bedankten sich bei diesen beispielsweise mit einem Erntedankfest für eine gute Ernte. Ebenso früh dürfte es ein Bedürfnis gegeben haben, sich durch festliche Rituale als Gruppe zu stärken, neue Mitglieder feierlich in die eigenen Kreise aufzunehmen oder sich mittels festlicher Aktivitäten gegenseitig Mut zu machen. Die Tatsache, dass wir Feste als eine Grundform menschlicher Verhaltensweisen in allen Gesellschaften finden, zeigt auf, wie wichtig diese für uns Menschen sind.

Feiern wir heute anders als früher?

Wir haben heute ein enormes Festangebot. Das war früher für viele Menschen nicht gegeben. Für sie gab es höchstens die religiösen Feiertage und vielleicht noch den Jahrmarkt. Feste standen oft am Ende von Entbehrung, Fasten oder Not. Weiter sind viele Feste heute privater und intimer geworden. Zu Taufen, Hochzeiten oder Beerdigungen, an denen früher das ganze Dorf teilgenommen hat, sind heute nur noch ausgewählte Gäste eingeladen. Dem gegenüber stehen immer gigantischere Anlässe wie etwa die Streetparade mit Hunderttausenden von Teilnehmenden. Öffentliche Feste sind zunehmend kommerziell ausgerichtet. Man denke beispielsweise an die riesigen Festivals aller Art, die auch medial begleitet werden. Heute kritisieren viele einen unaufhörlichen Festrummel.

Bald ist Weihnachten. Wie hat sich dieses Fest entwickelt?

Weihnachten war lange Zeit eingegliedert in eine Reihe von winterlichen Aktivitäten rund um den Jahreswechsel und die Sonnenwende. Den ältesten Weihnachtsbrauch stellt die Tradition des Krippenspiels dar. Die Adventszeit war ursprünglich eine Fastenzeit, der Adventskranz kam erst im 19. Jahrhundert aus Deutschland in die Schweiz. Um 1800 leuchtete zum ersten Mal ein kerzengeschmückter Tannenbaum in einer Bürgerstube in Zürich. In Lausanne wurde der erste Weihnachtsbaum 1831 verkauft. Der Erste Weltkrieg verhalf der heutigen Tradition des geschmückten Baumes allgemein zum Durchbruch, als die Soldaten in ihren Unterkünften das Fest mit einem Weihnachtsbaum feierten. Weihnachten wurde immer stärker zum privaten Familienfest, das den Zusammenhalt innerhalb der Familie stärken soll und Besinnlichkeit sowie Harmonie zelebriert.

Vielen Dank, Herr Leimgruber, für das Gespräch und frohe Festtage.

 

Feste feiern: Prof. Dr. Walter Leimgruber

Walter Leimgruber ist Leiter des Seminars für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie an der Universität Basel.