Spitzensportlerin trinkt aus einer Flsache.

Menstruationszyklus im Spitzensport:
Brechen wir das Tabu! 

Im Spitzensport müssen körperliche und mentale Leistung auf den Punkt genau abgerufen werden. Deshalb spielt der weibliche Zyklus im Leistungssport eine wichtige Rolle. 

   Kurz und einfach

Bei Frauen spielt der Zyklus eine wichtige Rolle.
Frauen fühlen sich dann manchmal unwohl.
Im Profisport sollten man offen darüber sprechen.
Dann kann das Training darauf angepasst werden.

 

Es fällt immer noch schwer, über das Thema Menstruationszyklus im Spitzensport zu reden. Warum ist das so? Und wie kann sich das ändern? Wir haben uns mit Mélanie Pauli, Bewegungswissenschaftlerin und Sportlehrerin dipl. II sowie Leistungssport -und Athletiktrainerin, unterhalten. Sie gilt als Pionierin und treibt das Wissen rund um dieses Thema seit Jahren voran. 

Mélanie Pauli konnte ihre Leidenschaft für Sport und Bewegung zum Beruf machen. Sie unterstützte Aktive auf ihrem sportlichen Weg und betreute erfolgreiche Athletinnen und Athleten in verschiedenen Sportarten im Konditionsbereich. Heute arbeitet sie unter anderem als Athletiktrainerin des Schweizerischen Frauen-Fussball-Nationalteams und gibt als Referentin ihre vielfältigen Erfahrungen weiter. 
 

Mélanie Pauli mag Herausforderungen, zu denen das zyklusorientierte Training gehört, weil es die Zukunft der athletischen Ausbildung im Frauensport ist.

Der weibliche Zyklus ist nach wie vor ein Tabuthema: Welche Hemmschwellen müssen im Spitzensport bei der Thematisierung und Umsetzung überwunden werden? 
 

«Der Leistungssport ist noch immer stark männerdominiert. Es gibt bis dato wenige Frauen-Headcoaches, Assistenztrainerinnen oder Athletiktrainerinnen. Das kann eine Hemmschwelle darstellen, über den Zyklus zu sprechen. Manchmal wissen Männer vielleicht nicht, wie sie damit umgehen und das Eis zwischen sich und den Spielerinnen brechen sollen. Dies ist öfters in Mannschafts- als in Individualsportarten der Fall.

Trainer und Trainerinnen werden nun mehr und mehr mit dem Thema konfrontiert. Einen wichtigen Ansatzpunkt sehe ich in der Trainerausbildung. Der weibliche Zyklus muss darin thematisiert werden, damit das Sprechen darüber normaler wird. Als Athletin gehört der Zyklus heute genau wie die Besprechung des Trainingsplans oder der körperlichen Verfassung einfach dazu.»
 

Was sind kommunikative No-Gos bezüglich des weiblichen Zyklus in der Beziehung zwischen Trainer oder Trainerin und Spielerinnen? Wie können diese umgangen werden?
 

«Das ist sehr, sehr individuell. Es hängt unter anderem davon ab, mit was für Spielerinnen man zu tun hat. Handelt es sich um Jugendliche, die noch in der Pubertät stecken? Oder sind es erfahrene Sportlerinnen? Es ist sehr wichtig zu wissen, wo man sich da befindet.

Sprüche wie «Hast du etwa deine Tage?», kombiniert mit einem herablassenden Lächeln, gibt es heutzutage immer noch. Das zeigt aus meiner Sicht, dass dieses Thema nicht ernstgenommen und der Sachverhalt banalisiert wird.

Man muss das Tabu endlich brechen und realisieren, dass der weibliche Zyklus für Frauen ein ernstzunehmendes Thema mit allfälligen Problemen – aber auch viel positivem Potenzial! – ist und sich auf die Performance oder Leistungsfähigkeit auswirkt. Das Nicht-Ernstnehmen kann auch zu einer emotionalen Herausforderung heranreifen und so die eigene Leistung beeinflussen. Nicht die Tatsache, dass ich mich in einer gewissen Zyklusphase befinde, ist dabei das Hauptproblem, sondern die Ungewissheit, wie ich mit mir selbst umgehen soll und die Situation emotional bewältigen kann. Diese Ungewissheit kann durchaus auftreten, wenn man als Athletin das Gefühl hat, nicht ernstgenommen und damit allein gelassen zu werden.» 
 

Die gesellschaftliche Akzeptanz bei Regelbeschwerden schwankt zwischen offener Kommunikation und Schamgefühl – ein scheinbar unüberwindbares Paradox. Inwieweit hinkt hier die Aufklärung hinterher? Wie nimmt man sich im Sport dem Thema an?
 

«Die Aufklärung steckt in den Babyschuhen. Ich denke, dass der weibliche Zyklus und Menstruationsbeschwerden in der Gesellschaft nach wie vor ein Tabuthema sind, obwohl viele erfolgreiche Sportlerinnen inzwischen öffentlich über ihren Zyklus reden. Das virale Interview von Mikaela Shiffrin ist ein ideales Beispiel dafür. Sie spricht von ihrem monatlichen Zyklus und der Journalist übersetzt es aus dem Englischen in das «monatliche Velofahren» («cycle» gegenüber «cycling»). Es gibt noch sehr viel zu tun. Ein grosses Potenzial, um darüber zu reden, liegt in der Ausbildung der Trainerinnen und Trainer.

Fortschritte sind sichtbar. Swiss Olympic beschäftigt sich mittlerweile seit gut vier Jahren spezifisch mit dem Thema Frauen und Spitzensport. Auf der Website sind sehr umfassende und interessante Infos zu finden, unter anderem im Podcast unter der Kampagne «smart her, the women sportcast», übrigens auch für Frauen in der Schwangerschaft. Ich bin mir sicher, dass in den nächsten Jahren sehr viel dazukommen wird. Das ist die Zukunft, wenn man mit weiblichen Athletinnen zusammenarbeitet.» 
 

Die Zyklen der Frauen eines Teams passen sich an – kann dies wirklich geschehen oder ist das ein Mythos? Welche Vor- oder auch Nachteile verbergen sich hinter einer solcher Abstimmung der Zyklen.
 

«Bis anhin ist es noch nicht wissenschaftlich bestätigt, dass dieser Mythos so wirklich stimmt. Aus meiner Sicht spielt es eigentlich keine Rolle, da sich keine Vor- oder Nachteile daraus ergeben.

Das Motto für die Arbeit mit Athletinnen, aber auch mit Athleten, lautet: so individualisiert wie möglich – auch wenn es sich um eine Teamsportart handelt. Nichtsdestotrotz ist der Menstruationszyklus ein Tool, dessen Handhabung man lernen muss.

Wenn ich mich wohlfühle im Kopf, so kann ich eine bessere Leistung abrufen. Der Körper selbst kann grundsätzlich in jeder Phase des Zyklus performen. Wenn ich also keine PMS hätte und die hormonelle Fluktuation keinen Einfluss auf mich ausüben würde, so könnte ich in jeder Phase wie üblich performen. Was mich als Athletin daran hindert, nicht die beste Leistung abrufen zu können, ist genau dieses PMS, welches durch die hormonellen Veränderungen eintreten kann. Darum ist das Tracking und die daraus entstehenden Strategien das Wichtigste, um das PMS zu verhindern oder zu reduzieren.

Zusätzlich ist es mir persönlich wichtig, nicht nur die negativen Aspekte des weiblichen Zyklus zu betonen. Es gibt auf der anderen Seite auch positive Aspekte. Die Fluktuation kann auch gezielt genutzt werden, beispielsweise für spezifisches neuromuskuläres Training in der ersten Phase (follikuläre Phase). Damit kann der Effekt des Krafttrainings verstärkt werden, da man weiss, dass der weibliche Körper in dieser Phase bereit ist, solche Reize zu verarbeiten.»
 

Welche Tipps gibst du einer Sportlerin mit einem unregelmässigen Zyklus?
 

«Als erstes würde ich die Athletin fragen: «Hey, weisst du was ein menstrualer Zyklus ist? Von was wir hier genau reden? Machst du ein Tracking oder schreibst du Tendenzen auf? Wenn nicht, dann ist dies die erste Sache, die du tun solltest. Tracke deinen Zyklus, schreibe alles auf, was dir auffällt, sowohl negative als auch positive Dinge. Dies über eine Zeitspanne von drei Monaten, wenn nicht sogar ein halbes Jahr.» Das ist die Basis, um wirklich herausfinden zu können, was das Problem sein könnte.

Danach gibt es weitere Punkte, die ich mir anschauen würde, wie zum Beispiel die Belastungssteuerung, die Energiebereitstellung und die Ernährung. Je nachdem, was festgestellt wird, sollte man sich professionell beraten lassen. So kann man beispielsweise eine Fachperson für (Sport-)Ernährungsberatung hinzuziehen, die sich mit diesem Sachverhalt frauenspezifisch auseinandersetzt.» 
 

Welche Rolle spielen Verhütungsmittel – hormonelle wie nicht hormonelle – bei der Umsetzung eines auf den Zyklus angepassten Trainingsplans? Stichwort Pille.
 

«Es spielt eine Rolle, ob die Sportlerin einen natürlichen Zyklus hat oder nicht. Es gibt so viele verschiedene Pillen mit unterschiedlichen Hormonen.

Beim natürlichen Zyklus haben wir eine hormonelle Fluktuation, die Athletinnen für sich nutzen können. Mit hormonellen Verhütungsmitteln wird diese unterdrückt. Damit will ich nicht sagen, dass Sportlerinnen die Pille nicht nehmen sollten. Tatsache ist jedoch, dass man diese natürliche Fluktuation besser für sich nutzen kann, wenn man kein hormonelles Verhütungsmittel nimmt. Wer ein kontrazeptives Mittel verwendet, sollte trotzdem den Verlauf des Zyklus tracken. Denn auch dann können Beschwerden wie Schlafstörungen oder Veränderungen des Appetits auftreten, die vielleicht subtiler sind als die üblichen prämenstruellen Rückenschmerzen, Bauchschmerzen, Krämpfe oder Blähungen.

Ich habe Erfahrungen mit Spitzensportlerinnen, die die Pille nehmen, welche sich durch kleine Massnahmen, vorwiegend im Ernährungsbereich, wieder wohler fühlen. Ob dies wirklich hilft oder nur der Placebo-Effekt auftritt, spielt für mich keine Rolle. Wenn sich die Athletin durch die Massnahmen besser fühlt, so nehme ich diesen positiven Effekt gerne mit.

Vor dem Entscheid für die Pille oder andere Verhütungsmittel sollten sich Leistungssportlerinnen professionell beraten lassen. Swiss Olympic stellt mittlerweile eine wirklich gute Plattform zur Verfügung, um die Athletinnen zu beraten. Oder aber via Gynäkologinnen oder Gynäkologen, die sich eingehend mit Spitzensport auseinandersetzen, damit man das Verhütungsmittel findet, welches für die Sportlerin individuell am besten passt.»
 

Zum Schluss: Sind auch bei Männern hormonelle Schwankungen festzustellen, die sich auf die Leistungsfähigkeit auswirken?
 

«Welche Fluktuation bei Männern genau auftritt und wie sie sich auswirkt, damit kenne ich mich nicht im Detail aus. Aber generell lässt sich sagen: Ja, auch bei Männern gibt es hormonelle Schwankungen. Bei ihnen spielt beispielsweise das männliche Geschlechtshormon Testosteron eine Rolle. Männer haben aber eine viel geringere Fluktuation als Frauen während ihres monatlichen Zyklus.»