Spitzensportlerin misst ihre eigene Performance auf dem Laufbahn.

Trainingspause und Leistungskurve: So läuft es bei den Profis

Wie gelingt nach einer sportlichen Pause der Wiedereinstieg ins Training? In diesem Artikel richten wir den Fokus auf die Profis. Wie machen die das eigentlich? Wir haben dazu einen Experten gefragt: Dr. sc. nat. ETH Marco Toigo, Wissenschaftlicher Leiter von «OYM», einem Leistungszentrum für Spitzensportlerinnen und Spitzensportler in Cham.

   Kurz und einfach

Profis trainieren hart und viel.
Es gibt auch spielfreie Wochen.
Profis sollten dann weiter trainieren.
Der Experte Dr. Marco Toigo erklärt weshalb.

In Hallensportarten, wie zum Beispiel Unihockey, Volleyball, Handball oder Basketball, zieht sich eine Spielzeit über circa acht Monate hinweg. In dieser Zeit befinden sich die Sportlerinnen und Sportler der höchsten Schweizer Ligen unter grosser körperlicher und mentaler Belastung.

Profimannschaften auf diesem Niveau trainieren durchschnittlich fünf Mal in der Woche als Team. Weitere individuelle Trainingseinheiten kommen obendrauf. So macht Peer Harksen, Spieler der Schweizer Volleyball-Nationalmannschaft und von CONCORDIA Volley Luzern, während der laufenden Spielzeit zehn Trainingseinheiten pro Woche. Diese Einheiten lassen sich in zwei Kategorien aufteilen. Einerseits absolviert Peer, der zusätzlich bei der CONCORDIA ein Spitzensportpraktikum im Team der Unternehmenskommunikation absolviert, fünf Trainings mit CONCORDIA Volley Luzern am Abend. Andererseits kommen fünf Athletiktrainings dazu, die der Volleyballer im «OYM» machen darf. «OYM» steht für «On Your Marks» und ist ein Hochleistungszentrum, welches von Hans-Peter Strebel, Sportvisionär und Präsident des EV Zugs, in Cham aufgebaut wurde. An diesem Stützpunkt in Cham trainieren unter anderem die Spieler der Hockey-Akademie, einige Skiathleten sowie die CONCORDIA Handball Akademie der Frauen.

Wie verhält es sich bei den Profis mit Pausen, können sich Spitzensportlerinnen und -sportler eine längere Trainingspause leisten? Brauchen sie diese sogar? Wenn ja, wie müssen diese Pausen geplant sein, damit die Leistungskurve einigermassen bestehen bleibt? Diese Fragen wollen wir klären. Dafür haben wir uns mit einem Experten ausgetauscht: Dr. sc. nat. ETH Marco Toigo, Wissenschaftlicher Leiter vom OYM und als solcher Vorsteher von Forschung und Entwicklung, Data Science und Analytics, Athlete Health Management, Athletic Training und Nutrition.

Dr. Marco Toigo ist der wissenschaftliche Leiter im «OYM».
Dr. sc. nat. ETH Marco Toigo, Wissenschaftlicher Leiter vom OYM. Foto ©oym.ch

Spielpausen nutzen – Die Analogie zur Arbeitswelt

Herr Dr. Toigo, wie steht es im Spitzensport mit Pausen innerhalb einer Spielzeit?
 
«Um die Frage, ob eine Trainingspause innerhalb einer Spielzeit notwendig ist, beantworten zu können, gilt es die Definition einer ‹Trainingspause› zu erarbeiten. Handelt es sich um einen Trainings- und Aktivitätsstopp oder wird in dieser Zeit einfach ‹weniger› trainiert? Und was wird durch eine solche Pause erhofft? Was ist das Ziel, wenn man diese einbauen will?»
 
Eine Pause sollte auf Spitzensportniveau also durchdacht und geplant sein?
 
«Ganz grundsätzlich kann man eine Analogie zur konventionellen Arbeitswelt herstellen: Es ist besser, vorausschauend, durch eine gute Zeit- und Ressourcenplanung, dafür zu sorgen, dass die Erholung gewährleistet ist. Im Spitzensport umfasst die Belastung ja nicht nur das Training und die Spiele, sondern sie erstreckt sich unter Umständen auch auf Marketingtermine, PR-Termine oder Ähnliches. Es ist wenig ratsam, Raubbau an den eigenen Ressourcen zu betreiben und darauf zu hoffen, dass zwei Wochen Ferien die Erlösung bringen werden. Zudem ist es wichtig zu realisieren, dass bei einer kompletten Trainingspause oder bei einer Reduktion des Aktivitätsniveaus auch die Ernährung, was der Energiezufuhr über die Nahrung entspricht, angepasst werden sollte.» 
 
Spitzensportler wird von seinem Coach beim Training betreut.
Kraft- und Athletiktraining ist wichtig, um die physische Voraussetzung für die passende Sportart zu schaffen.

Die Spielpause mit einem Trainingsstopp kombinieren – ein Trugschluss

Wie weiter oben ausgeführt, besteht das Spitzensporttraining in der Regel aus der Sportart an sich, beispielweise dem Training mit dem und als Team, sowie individuellem Athletiktraining, in welchem etwa Kraft und Ausdauer im Mittelpunkt stehen. Eine Pause in einem Bereich, muss nicht gleichzeitig auch für den anderen Bereich gelten.
 
«Da bereits während der laufenden (Spiel-)Saison das Athletiktraining weniger priorisiert wird, würde sich die Gelegenheit der reduzierten Belastung durch Spiele, zum Beispiel über die Festtage, für gezielte Trainingseinheiten im Athletikbereich eignen.» 
 
Der Trainingsstopp in der Ausübung der Sportart ist hier weniger problematisch als der Trainingsstopp im gezielten Athletiktraining.
Dr. sc. nat. ETH Marco Toigo, Wissenschaftlicher Leiter von OYM
Wie wirkt sich eine Pause auf die Leistungskurve, auf die Athletik eines Spitzensportlers oder -sportlerin aus?
 
«Je nach mechanistischer Determinante (Muskelfaserquerschnittsflächen und -verteilung, Kapillarisierungsgrad, mitochondrialer Gehalt, Enzymaktivitäten etc.) und den daraus resultierenden funktionellen Kapazitäten liegt der Grad der Dekonditionierung nach drei Wochen Inaktivität bei 30–80 % relativ zum erzielten Anstieg in der Trainingsphase.»
 
Das bedeutet, stark vereinfacht gesagt, dass nach drei Wochen Sommerferien, ohne zu trainieren, der Körper bereits stark abbaut?
 
«Grundsätzlich bewegt sich der Körper bei Trainingsstopp in Richtung der Ausgangswerte. Wenn eine langfristige und nachhaltige Steigerung des athletischen Potenzials das Ziel ist, dann müssen diese zeitlichen Abhängigkeiten berücksichtigt werden. Der Trainingsstopp in der Ausübung der Sportart ist hier weniger problematisch als der Trainingsstopp im gezielten Athletiktraining.» 
 
Die Profis sollten in den Ferien mindestens ihre Athletik trainieren?
 
«Ja, und die ‹Good News› dazu: Um die erzielten Fortschritte während der Ferienzeit zu erhalten, braucht es relativ gesehen weniger Aufwand. Nicht zu vergessen ist schliesslich die Fettmasse. Bei unverhältnismässiger Energiezufuhr (unverhältnismässig hoch relativ zur gleichzeitig tiefen körperlichen Aktivität) kommt es je nach Individuum relativ schnell zu einer Zunahme der Fettmasse, was sich verständlicherweise in den meisten Fällen nicht positiv auf die sportliche Leistungsfähigkeit auswirkt.»
 

Nach der Trainingspause «verlorene» Einheiten kompensieren – zweiter Trugschluss

Was passiert nach einer Trainingspause? Werden die «verlorenen» Einheiten kompensiert?
 
«Das kommt auf die Periodizität in der Sportart an. Intensiviert sich die Wettkampfphase nach beispielweise den Festtagen, so kann das allenfalls eingehandelte Defizit kaum mehr aufgearbeitet werden. Kann nach den Festtagen das Athletiktraining wieder regelmässig und fokussiert aufgenommen werden, so sind die relativen Abnahmen bald wieder kompensiert. Da es bei einem kompletten Sportstopp in kurzer Zeit zu einer Abnahme der Muskelfaserlängen kommt, besteht bei einem unverhältnismässigen Wiedereinstieg in Bezug auf die Intensität und den Umfang der gewohnten Trainingsaktivitäten die Gefahr für einen zu stark ausgeprägten Muskelkater. Die Re-Adaptation muss im Spitzensport daher sorgfältig geplant werden.»
 

  Wie ist ein Muskel aufgebaut?

Ein Muskel besteht aus Muskelfaserbündeln. Diese Bündel wiederum bestehen aus mehreren Muskelfasern. Diese Muskelfasern können in der Länge zwischen einem Millimeter und mehreren Zentimetern variieren.
Ein Skelettmuskel im Überblick


Zurück im Trainingsrhythmus

Wann sind die Athleten und Athletinnen mit der Intensität und der Anzahl der Trainings wieder im gewohnten Rhythmus? 
 
«Das ist sehr individuell und hängt eben davon ab, was genau in den Ferien gemacht oder eben nicht gemacht wurde und wie sich die Person dabei ernährt hat.»
 

Abstimmung des Trainings auf die Saisonhighlights

Was passiert im Hinblick auf Saisonhighlights wie Playoffs, Ligafinals und Cupfinals mit der Intensität und der Anzahl der Trainings? 
 
«Für die Saisonhighlights gelten die gleichen Betrachtungen. Die Zielsetzung ist in jedem Fall, dass die Leistungsfähigkeit in dieser sehr intensiven Phase erhalten werden kann. Dazu gehört die optimale Erholung, mental wie auch körperlich, sowie die zeitlich und inhaltlich gezielte Anwendung von Trainings- und Ernährungsreizen zur Erhaltung der funktionellen Kapazitäten.»
 

  
Trainings- und Erholungsphasen gehen besonders in den entscheidenden Saisonphasen Hand in Hand. Dabei spielen neben der körperlichen auch die mentale Fitness sowie die Ernährung eine Rolle.


«Wichtig: Der Erfolg basiert auf der systematischen und kontinuierlichen Arbeit, die während vielen Wochen, Monaten und Jahren vor dem eigentlichen «Highlight» stattfinden. Mit diesem systematischen, wissenschaftlich basierten Aufbauprozess, der alle Körpersysteme holistisch angeht, kann die Zufälligkeit des Ausgangs des Saisonhighlights reduziert werden.»
 
Vielen Dank, Dr. Toigo, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben.