Ausgrenzung und Mobbing sind grosse Herausforderungen an Schulen.

Mobbing im Klassenzimmer

Berichte über Ausgrenzung und Mobbing an Schulen machen nachdenklich. Warum werden Kinder von Mitschülerinnen und Mitschülern manchmal so sehr bedrängt, dass sie daran verzweifeln? Urs Kiener, Kinder- und Jugendpsychologe, über Solidarität im Klassenverbund.

   Kurz und einfach

Menschen sind manchmal sehr gemein.
Jemanden gezielt fertigmachen nennt man Mobbing.
Mobbing passiert oft an Schulen.
Betroffene Kinder fühlen sich im Stich gelassen.
Mitgefühl lässt sich lernen und verhindert Mobbing.
 

Der Umgang mit Ausgrenzung und Mobbing gehört heute zu den grossen Herausforderungen an Schulen. Die Opfer von Schikanen werden nicht nur auf dem Pausenplatz gehänselt. Mit Smartphones und sozialen Medien können Kinder und Jugendliche rund um die Uhr auf subtile Art und Weise bedroht, beschimpft und blossgestellt werden – auch zu Hause, am Wochenende und während der Ferien.

 

Die Folgen von Mobbing

Viele Betroffene können sich nicht erklären, wie und weshalb sie in diese hoffnungslose und entwürdigende Situation geraten sind. Manche ziehen sich aus Angst und Verunsicherung zurück, können nicht mehr schlafen, leider unter Kopf- und Magenschmerzen oder entwickeln gar Depressionen und chronische Krankheiten.

Besonders belastend: Betroffene machen oft die Erfahrung, dass sie nur von einigen wenigen Mitschülerinnen und Mitschülern terrorisiert werden, dass sie aber von keiner einzigen Kollegin, von keinem einzigen Kollegen Unterstützung und Solidarität erfahren.

 

Was führt zu Ausgrenzung?

Angst vor dem Fremden kennen wir alle. Bereits Babys «fremdeln», gehen auf Distanz zu Personen, die sie nicht kennen. Sie klammern sich an jene Menschen, auf die sie sich verlassen können und zu welchen sie eine sichere, stabile Bindung aufgebaut haben. Aber dieses Verhalten beschränkt sich nicht auf Kleinkinder. Auch Erwachsene bilden gerne geschlossene Gruppen und grenzen sich von anderen ab. Familien von ihren eigenartigen Nachbarn, die Dorfgemeinschaft von der Stadtbevölkerung, Schweizer von Deutschen. Stets werden die Anderen auf unvorteilhafte Eigenschaften reduziert, man selbst hingegen erscheint im besten Licht. Das unbewusste Ziel: Durch die Abwertung der Anderen erhöhen wir unser Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl.

An alles, was anders ist als wir selbst, müssen wir uns zuerst gewöhnen. Erst wenn wir uns mit dem Fremden vertraut gemacht haben, fühlen wir uns nicht mehr bedroht. Je unsicherer wir sind, desto stärker und übertriebener betonen wir unsere Einzigartigkeit. Wenn Mitschülerinnen und Mitschüler gemobbt werden, erwirken die Drangsalierenden eine Art übersteuerte Fremdbildung, welche ausser Kontrolle gerät. Durch die Erniedrigung von Mitmenschen fühlen sie sich überlegen.

 

So wird Solidarität gefördert

Massive Feindseligkeiten im Klassenzimmer lösen sich praktisch nie von selbst. Vielmehr muss die Voraussetzung für Solidarität aktiv aufgebaut werden: Vernünftige Beziehungen, welche auf übereinstimmenden Zielen beruhen. Wie aber lernen Kinder, sich in der Klasse solidarisch zu verhalten?

Glücklicherweise ist Empathie und Solidarität nicht etwas, das man einfach hat oder nicht hat. Mitgefühl lässt sich lernen und trainieren. Der erzieherische Umgang damit ist deshalb an vielen Schulen bereits fest verankert. Emotionen werden heutzutage nicht mehr als Störfaktor für das Lernen betrachtet, sondern als unabdingbare Unterstützung. Denn Denken und Fühlen gehören zusammen. Es ist deshalb zentral, dass Gefühle als eine Art «Navigationsgerät» verstanden werden. Gefühle selbst sind nicht das Problem. Problematisch ist bloss gelegentlich der Umgang mit ihnen. Wenn Schülerinnen und Schüler das erkennen und gut mit ihren Gefühlen umgehen können, haben sie es im Klassenalltag leichter. Und können bei Mobbing von Kolleginnen und Kollegen reagieren und sich mit den Opfern solidarisieren.

 

Der solidarische Umgang miteinander

Hier entsteht eine Art Kreislauf: Positive Erfahrungen, welche Heranwachsende mit ihren Bezugspersonen machen, werden in ihrem Gedächtnis gespeichert. Diese Erfahrungen prägen ein Leben lang ihr Bild von der Welt und beeinflussen ihr Denken und Handeln. So erleben wir alle Solidarität als ein Gefühl von Geborgenheit, gegenseitiger Hilfsbereitschaft und Verantwortlichkeit. Eines darf man darum nicht vergessen: Solidarität braucht es nicht nur in einer Schulklasse – auch unsere Gesellschaft würde ohne diesen Wert schlicht nicht funktionieren.