Ein Patient trainiert in der Neurorehabilitation seine Motorik mit Hanteltraining.

Neurorehabilitation – Was passiert nach einem Schlaganfall?

Heftiger Schwindel, Lähmungserscheinungen, Benommenheit oder Bewusstlosigkeit. Allesamt Anzeichen für einen Schlaganfall. Das Gehirn wird nicht genügend durchblutet – und plötzlich geht es um Minuten. In der Schweiz erleiden jedes Jahr 16'000 Menschen einen Hirnschlag. Durch schnelles Handeln und eine gute Rehabilitation erholt sich rund die Hälfte der betroffenen Personen wieder ganz. Doch was passiert in einer Neurorehabilitation genau?

Bei einem Hirnschlag oder Schlaganfall zählt jede Minute. Innert kürzester Zeit verschliessen sich Blutgefässe im Gehirn und Teile des Gehirns werden nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Im Nu sterben die betroffenen Nervenzellen ab. Abhängig vom betroffenen Bereich im Gehirn, treten unterschiedliche neurologische Ausfälle auf wie zum Beispiel plötzliche Lähmungserscheinungen, Seh- oder Sprachstörung oder auch Bewusstlosigkeit.

 

Ein Schlaganfall ist immer ein Notfall

Je schneller der Notfall alarmiert ist, desto besser stehen die Chancen auf eine vollständige Heilung. Diese plötzlich auftretenden Symptome können auf einen Hirnschlag hindeuten:
  • plötzliche Lähmung, Gefühlsstörung oder Schwäche, meist nur auf einer Gesichts- oder Körperhälfte
  • plötzliche Blindheit (oft nur einseitig) oder Doppelbilder
  • Sprachstörungen oder Schwierigkeiten, Gesprochenes zu verstehen
  • heftiger Schwindel
  • plötzliche Verwirrtheit
  • Benommenheit oder Bewusstlosigkeit
  • besonders bei Hirnblutung: plötzlich auftretende heftige Kopfschmerzen ohne bekannte Ursache 
  

Was passiert bei einer Einweisung mit Hirnschlag?

Die Therapien für Hirnschlagpatienten und -patientinnen sind fortgeschritten und modern. Trotzdem ist eine rasche Einweisung für eine erfolgreiche Behandlung elementar. Gemäss Marcel Arnold, Chefarzt am Stroke Center des Berner Inselspitals, kommen leider immer noch rund ein Drittel aller Fälle zu spät ins Spital. Was bei einer Einweisung mit Hirnschlag passiert, wird in diesem Video der Schweizerischen Herzstiftung «Swissheart» erklärt.

 

Die führenden Reha-Kliniken sind in der Organisation SWISSREHA (SW!SS REHA – der Verband der führenden Rehabilitationskliniken (swiss-reha.com)) zusammengeschlossen. Sie entwickeln und setzen Qualitätskriterien für ein hohes Angebotsniveau kontinuierlich um. Im Abstand von je drei Jahren werden die Kliniken einer unabhängigen Begutachtung vor Ort unterzogen. Sie müssen zudem ihre Zielsetzung bei jedem einzelnen Patienten bzw. bei jeder einzelnen Patientin und deren Erreichungsgrad anonymisiert, kontinuierlich und einheitlich dem Gesetzgeber mitteilen. Dadurch ermöglichen sie die Vergleichbarkeit und Transparenz ihrer Arbeit. Durch Spezialisierungen in der Neurorehabilitation existieren lange schon Einrichtungen für beispielsweise junge Hirnverletzte nach einem Unfall oder bei Rückenmarkserkrankungen. Dadurch kann ein sehr breites Spektrum neurologischer Krankheiten versorgt werden.

 

Interview: Neurorehabilitation nach einem Hirnschlag

Dr. med. Markus Pöttig ist Chefarzt der Neurologie an der Klinik «Adelheid» in Unterägeri und erklärt uns die Neurorehabilitation etwas näher.

Was genau versteht man unter Neurorehabilitation?
Kommt es durch eine Krankheit oder einen Unfall zu körperlichen oder geistigen Einschränkungen, so kommt die Rehabilitation ins Spiel. Das Ziel ist es, diese Einschränkungen grösstmöglich wieder zu beseitigen, sodass die betroffenen Personen wieder so gut wie möglich an der Gesellschaft teilhaben können. Gerade bei Hirnschlagpatientinnen und -patienten ist es extrem wichtig, dass ein geschultes Reha-Team nach klar definierten Zielen mit betroffenen Personen trainiert. Dadurch können sie ihre Mobilität und Selbständigkeit wieder zurück erlangen. Rehabilitation findet aber nicht nur in Kliniken statt – und hier kommt die Neurorehabilitation ins Spiel. Ebenso sind weitere Faktoren wie die Wohnsituation, die Unterstützung durch Angehörige, bestehende Fähigkeiten des Patienten oder psychische Krankheitsverarbeitung entscheidend dafür, wie die gemeinsam gesteckten Ziele erreicht werden können.

Wie schnell sollte man nach dem Schlaganfall mit Rehabilitationsmassnahmen starten?
Der Beginn der Neurorehabilitation nach einem Hirnschlag erfolgt in der Regel bereits im Akutspital in den ersten Tagen nach dem Ereignis. Wartet man auf eine spontane Teilerholung, so kann das den späteren Behandlungserfolg schmälern. Die Verlegung der Patientinnen und Patienten vom Akutspital in die spezialisierten Kliniken setzt eine gewisse Stabilität in Bezug auf Mobilisierbarkeit, Schlucken und andere Körperfunktionen voraus. Die Reha-Klinik verfügt zwar über ausgezeichnete Möglichkeiten grundlegender Diagnostik und medizinischer Behandlung. Dennoch kann sie keine überwachungs- oder intensivpflichtigen Patientinnen und Patienten betreuen.

Unter welchen körperlichen und mentalen Einschränkungen oder Behinderungen leiden die Betroffenen, wenn sie in die Reha-Klinik eintreten?
Körperliche Einschränkungen betreffen die Motorik, also die Kraftentwicklung durch Lähmungen und die gestörte Koordination von Bewegungen. Alltägliche Abläufe wie Aufstehen, Laufen, Essen und Selbstpflege müssen wieder erlernt werden. Diese für uns normalen Abläufe werden bei Hirnschlagpatientinnen und Patienten durch die eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten beeinflusst. Gemeint sind intellektuell-geistige Funktionen wie das Gedächtnis, Konzentration, reelle Wahrnehmung der eigenen Leistungsfähigkeiten und Handicaps. Hierzu zählen auch die oft betroffenen Wachheits- und Gedächtnisfunktionen. Diese sind für uns zentral, damit wir Gelerntes immer wieder abrufen können. Auch muss eine sichere Schluckfunktion wieder angestrebt werden. Denn Verschlucken stellt ein Risiko für Lungenentzündungen dar, was den Erfolg einer Reha beeinträchtigen kann. Im Bereich der Sprache variieren die Beschwerden zwischen der Unfähigkeit sich deutlich zu äussern bis hin zum Verlust des Sprachverständnisses und der Lese- und Schreibfähigkeit. Dies führt dazu, dass Betroffene häufig grosse Schwierigkeiten haben, ihre Bedürfnisse auszudrücken.
Gerade in der Phase der Wahrnehmung der eigenen Behinderung, treten auch oft sekundäre Folgen wie Depressionen auf. Diese müssen zusätzlich behandelt werden – je nach Bedarf auch medikamentös und gesprächstherapeutisch.

Welche Therapien bietet eine Rehabilitation an?
Das stationäre therapeutische Angebot umfasst folgende Bereiche:

  • die neurologische Fachpflege
  • Physio- und Ergotherapie
  • Neuropsychologie und Psychotherapie
  • Logopädie
  • Medizinische Trainingstherapie
  • Ernährungsberatung
  • Sozialdienst

Die neurologische Fachpflege liefert therapeutisch ausgerichtete Hilfestellungen, um die Fertigkeiten des Alltages täglich zu trainieren und wieder zu erlernen. Physio- und Ergotherapie schaffen durch häufiges Wiederholen die Grundlagen der Bewegungsabläufe. Auf diesen Grundlagen kann die Fachpflege aufbauen und die Therapie vorantreiben.
Die intellektuellen und psychischen Fähigkeiten der Patientinnen und Patienten werden mit der Neuropsychologie untersucht und trainiert. Die psychologische Unterstützung konzentriert sich dabei hauptsächlich auf den Umgang mit der veränderten Lebenssituation.
Die Logopädie trainiert die Sprachfähigkeit. Weiter kann hier beurteilt werden, welche Art der Nahrungsaufnahme für die Patientinnen und Patienten die sicherste ist. Infolge Schluckproblemen kann es sein, dass die Ernährung umgestellt werden muss. Hierfür arbeiten geschulte Ernährungsexperten mit den Patienten zusammen.
Wissenschaftlich betrachtet ist die Dauer und Intensität einer Neurorehabilitation entscheidend für die funktionelle Verbesserung der Patientinnen und Patienten. Die hohe Frequenz an Wiederholungen und die Intensität der Übungsbehandlung sind dabei ebenso wichtig wie die Berücksichtigung der Belastbarkeit der betroffenen Personen. Besonders wichtig sind auch bewusste Pausen. Das Gehirn muss abspeichern können, was neu erlernt wurde – und zwar in Ruhezeiten. Vorerkrankungen des Gehirns wie vorausgegangene Schlaganfälle oder Demenzen, aber auch Herz- und Lungenkrankheiten können diesen Prozess behindern.

Wie misst man die Fortschritte im Verlauf einer Rehabilitation?
Innerhalb der ersten Woche trifft sich das Behandlungsteam für die Besprechung der ersten Beobachtungen und überprüft die Kontextfaktoren: die Wohnsituation, mögliche Unterstützung durch Angehörige, Ressourcen und Fähigkeiten des Patienten bzw. der Patientin, bisheriges Mass der Selbständigkeit und Unterstützungsbedarf. Das Team formuliert ein globales Rehabilitationsziel, wie zum Beispiel «Rückkehr nach Hause mit Unterstützung» oder die «Möglichkeit des Übertrittes in eine Pflegeeinrichtung». Ebenso werden Unterziele festgelegt, die als Grundvoraussetzung für eine gesicherte Lebensführung erforderlich sind. Möchte ein Hirnschlagpatient bzw. eine -patientin wieder alleine zuhause leben, müssen eigenständige Abläufe sichergestellt sein: eine sichere und selbständige Fortbewegung mit einem Hilfsmittel, sicheres Schlucken oder dem selbständigen WC-Gang. Auch müssen die Patientinnen und Patienten die sprachliche wie geistige Fähigkeit wiedererlangt haben, einen Notfall zu erkennen und Hilfe verständigen zu können. Aufgrund dieser Zielformulierungen definieren dann die beteiligten Therapieteams, welche Voraussetzungen dafür sie in ihrem Bereich erreichen müssen. Bei den wöchentlichen Besprechungen benennen sie den aktuellen Prozentsatz der Zielerreichung und beurteilen anhand ihrer Beobachtungen den bisherigen Verlauf. Hierfür gibt es ein standardisiertes Messinstrument. Anhand von Punktwerten gibt es Aufschluss über die aktuellen Fähigkeiten des Hirnschlagpatienten in den jeweiligen Lebens- und Funktionsbereichen.

Wie lange dauert durchschnittlich ein Rehabilitationsaufenthalt nach einem Schlaganfall?
Die Dauer des Aufenthaltes ist sehr unterschiedlich. Bei einem leichten Hirnschlag kann nach 2–3 Wochen die stationäre in eine ambulante Behandlung übergehen. Bei schwereren Verläufen mit kognitiven und motorischen Symptomen und ungünstigen Unterstützungsmöglichkeiten zuhause, können Aufenthalte bis zu drei Monaten dauern.
Grundvoraussetzung für eine stationäre Neurorehabilitation ist die Kostengutsprache der Krankenkasse. In Abständen von zwei bis drei Wochen wird die Krankenkasse jeweils über die Zielsetzung, den Zielerreichungsgrad sowie die Fortschritte informiert.

Wie sehen die Austrittsvorbereitungen aus und wie werden die Angehörigen einbezogen?
Die Angehörigen werden von Beginn der Reha in die Therapien mit einbezogen. Die Austrittsvorbereitung beginnen bereits kurz nach dem Eintritt. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem Behandlungsteam, dem betroffenen Patienten bzw. der betroffenen Patientin und seinen bzw. ihren Angehörigen ist elementar. Bei einem unklaren Zielerreichungsgrad während der Reha wird bereits früh im Prozess die Möglichkeit eines Austrittes in ein Pflegeheim hinterfragt. Primär streben die meisten Betroffenen den Austritt in die eigene Wohnung an. Hilfsmittel für Mobilität, Ernährung oder Selbstpflege sind hier sehr wichtig, um das Rehabilitationsziel zu erreichen. So auch bauliche Veränderungen innerhalb der Wohnung bzw. für deren Zugang über Treppen und Lift.
Es kommt vor, dass Hirnschlagpatientinnen bzw. -patienten und Angehörige den Aufwand der häuslichen Betreuung unterschätzen. Wir thematisieren dies aktiv und laden zur Einführung in die pflegerische Betreuung und zu physiotherapeutischer Anleitung für einen sicheren Transfer und geschützte Fortbewegung ein. Ergänzt wird dieses Angebot durch Probeaufenthalte an Wochenenden, um Sicherheit in der Betreuung in den eigenen vier Wänden zu erlangen. Oftmals können Hirnschlagpatientinnen bzw. -patienten und deren Angehörige erst durch diese Probewochenenden eine tragfähige Entscheidung über ihre Zukunft treffen.
Bei Patientinnen und Patienten im arbeitsfähigen Alter ist es wichtig, dass ein möglichst früher Kontakt zur IV stattfindet. So kann eine spätere Reintegration in die Arbeitswelt gut und rechtzeitig vorbereitet werden. Es ist zudem Aufgabe des Reha-Arztes bzw. der Reha-Ärztin dem Arbeitgeber Informationen zu geben, damit dieser im besten Fall den Arbeitsplatz erhält, wenn zumindest Aussicht auf Teilarbeitsfähigkeit in angepasster Tätigkeit besteht. Bestmöglich erfolgt diese später dann in Zusammenarbeit mit der IV, die den beruflichen Wiedereinstieg möglichst begleitet und auch finanziell unterstützt. Aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht darf der behandelnde Arzt bzw. die behandelnde Ärztin dem Arbeitgeber aber keine krankheitsbezogenen Informationen liefern.

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