Gehirnerschütterung im Handball: Wenn der Kopf nicht mehr mitspielt
Ein Schlag auf den Kopf. Dumpfe Schmerzen breiten sich aus. Das Licht wirkt auf einmal extrem hell und der Boden fühlt sich plötzlich uneben an. Was genau ist eigentlich gerade passiert? So können Symptome einer Gehirnerschütterung aussehen. Im Handball keine Seltenheit. Eine Spielerin erzählt.
Kurz und einfach
Sie hatte dann lange Schmerzen.
Es war eine Gehirnerschütterung.
Heute klärt sie über diese Verletzung auf.
In solchen Fällen muss man sich ausruhen und zum Arzt.
Angela Zürni, Jahrgang 1997, ist professionelle Handballspielerin bei Aula Valladolid in Spanien. Sie musste am eigenen Leib erfahren, wie ein vermeintlich «normaler» Zwischenfall bei einem Handballspiel 2018 ihr Leben buchstäblich auf den Kopf stellte. Sie bekam aus nächster Nähe einen Ball ins Gesicht. «Der Wurf war weder besonders hart, noch war es das erste Mal, dass so etwas passierte. Im Handball kommt es schonmal vor, dass man einen Ball oder Schlag auf den Kopf bekommt», erzählt sie. Die Kopfschmerzen waren sofort da. Sie biss die Zähne zusammen und spielte weiter – so, wie sie es gelernt hatte. Eine Pause gab es nicht. Genau dort begann ein langer Leidensweg.
«Ich dachte, das gehört halt dazu»
Die Monate nach dem Spiel waren geprägt von heftigen Kopfschmerzen, Schwindel und Ungewissheit. Sie verbrachte endlos lange Tage zu Hause, weil selbst der kleinste Reiz wie Sonnenlicht oder Umgebungsgeräusche die Symptome verstärkten. «Die Diagnose vom Arzt war sofort klar: eine schwere Gehirnerschütterung. Ich hatte mit dem Arztbesuch zu lange gewartet, die Symptome nicht ernst genommen. Nicht nur ich, auch mein Umfeld war nicht sensibilisiert auf das Thema Gehirnerschütterung!», erklärt sie. «Ich dachte, das gehört im Leistungssport halt dazu.»
Aufklärung als persönliche Mission
Ich bin kein Einzelfall!
Viele Spielerinnen und Spieler sind betroffen
Angelas Erfahrung steht exemplarisch für viele Betroffene im Handball.
Sophie Strupler, Swiss-Premium-League-Spielerin, kennt das Gefühl einer erlittenen Gehirnerschütterung. Nach einem Zusammenprall mit einer Gegenspielerin in einem Meisterschaftsspiel 2022 litt sie lange unter den Folgen. Auch sie hat zu lange gewartet und trotz Schmerzen weitergemacht. «Für meine Unwissenheit am Anfang der Gehirnerschütterung zahlte ich einen sehr hohen Preis. Das wird mir in Zukunft eine Lehre sein.» Heute spielt sie bei den Spono Eagles wieder auf höchstem Niveau und ist froh, zurück auf dem Feld zu sein.
Fabian Pellegrini, Quickline-Handball-League-Spieler, hatte während seiner Karriere sogar acht Gehirnerschütterungen. Darum hat er seine Karriere im Sommer 2025 beendet: «Genug ist genug!» Seit seinem Rücktritt gibt er seine Erfahrungen als Torwarttrainer weiter und sensibilisiert junge Spielerinnen und Spieler.
Milena Kaeslin, Swiss-Premium-League-Spielerin beim DHB Rotweiss Thun, hatte ebenfalls mit einer Gehirnerschütterung zu kämpfen: 2023 erhielt sie aus nächster Nähe einen Ball an den Kopf. «Mir hat niemand gesagt, dass ich das Training abbrechen soll. Ich habe einfach selbst entschieden, dass es schon nicht so schlimm ist und weitertrainiert.» Nach langer Leidenszeit und unzähligen Therapien fand sie Schritt für Schritt den Weg zurück. Zunächst ins Arbeitsleben und danach in den Handballsport. Sie weist auch auf die Gefahr sozialer Isolation hin: «Gehirnerschütterungen trennen dich nicht nur vom Spielfeld, sondern oft auch von deinem sozialen Umfeld, man ist plötzlich ganz alleine.»
Auch Joline Erni, Spielerin bei GC Amicitia Zürich und Abgängerin der CONCORDIA Handball Akademie, hatte mit den Folgen nach einer Gehirnerschütterung gekämpft. Sie hat jedoch nie aufgegeben und ist nun wieder zurück auf dem Spielfeld. Besonders belastend empfand sie, dass die Symptome der Verletzung oft unerkannt bleiben «Die Menschen um einen herum sehen nicht, was los ist. Sie haben nicht gesehen, dass ich monatelang nicht im Training war und keinen normalen Alltag hatte. Heute geht es mir wieder viel besser und ich bin ganz normal im Spielprozess integriert. Meine Botschaft: Es lohnt sich, zu kämpfen und es ist möglich, wieder zurück aufs Spielfeld zu kommen.» Ihr erstmaliges Aufgebot für die Schweizer A-Nationalmannschaft 2025 bestätigt dies und ist zugleich der verdiente Lohn für ihren Durchhaltewillen.
Der ehemalige Profi-Handballer und heutige Co-Trainer bei Stäfa in der Quickline Handball League, Mike Felder, appelliert an alle Spielenden und erzählt seine Geschichte: «2016 erhielt ich eine Billardkugel an den Kopf. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich gerade meinen ersten Profivertrag in der höchsten dänischen Liga unterschrieben und ich wollte auf keinen Fall die Vorbereitung auf die Saison verpassen. Also trainierte ich trotz anhaltender Symptome wie Kopfschmerzen und Probleme mit den Augen mit meinem neuen Team. Doch die Symptome wurden immer schlimmer. Sechs Monate habe ich mich mit Schmerzmitteln und Adrenalin durch den Meisterschaftsalltag gekämpft, bis meine Eltern schliesslich die Notbremse zogen. Ich kam zurück in die Schweiz, um mich behandeln zu lassen. Meine Botschaft an alle: Nehmt eure Symptome ernst, macht Pause, lasst euch behandeln! Gerade psychischen Problemen wird viel zu wenig Beachtung geschenkt!»
Zusammenstösse, Stürze und Geschwindigkeit
Handball ist eine Sportart mit besonders ausgeprägter Körperlichkeit, was zu einem hohen Verletzungsrisiko führt. Angela Zürni hat sich während ihrer Recherchen auch mit den Zahlen intensiv auseinandergesetzt: «Studien liefern Hinweise, dass rund ein Viertel aller Spielerinnen und Spieler mindestens einmal eine Gehirnerschütterung erlebt haben. Es gibt Zusammenstösse mit Gegenspielern, mit dem Hallenboden oder Torpfosten. Die Goalies sind einem besonderen Risiko ausgesetzt, da sie Würfe mit über 100 km/h Geschwindigkeit ohne Schutzausrüstung abwehren.»
Gehirnerschütterung: Eine Sportverletzung wie jede andere?
Im Gegensatz zu anderen Sportverletzungen, die im Handball häufig vorkommen, wie beispielsweise an Knie, Schulter oder Fussgelenk, ist die Diagnose einer Gehirnerschütterung schwieriger. Denn: Die Diagnose stützt sich meistens auf Symptome, die sehr individuell und unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Manchmal treten sie gar erst einige Tage nach dem Vorfall auf. «Im Profisport ist die Angst vor Ausfallzeiten zudem gross, weshalb viele Betroffene die Symptome nicht ernstnehmen, sie nicht melden und zu früh wieder ins Training zurückkehren», erklärt Angela.
Wenn die Symptome anhalten
Ohne Pause weitertrainieren oder – wie in Angelas Geschichte – einfach weiterspielen und die Symptome ignorieren, kann gravierende gesundheitliche Folgen haben. Meist klingen die Beschwerden innerhalb weniger Tage bis Wochen ab.
Dass Angela zwei Jahre für ihre Normalität kämpfen müsste, hätte sie sich niemals gedacht. Deshalb ist es ihr ein Anliegen über die Gehirnerschütterung im Sport aufzuklären. «Das Umfeld von Sportlerinnen und Sportlern weiss zu wenig über Gehirnerschütterungen. Vor allem, welche gesundheitlichen Folgen drohen, wenn man sie nicht ernst nimmt. Es ist keine Schande, sich auch im Spitzensport eine Auszeit zu nehmen. Unsere Gesundheit ist das Allerwichtigste, wir sollten sie nicht aufs Spiel setzen.»
Was tun bei Verdacht auf eine Gehirnerschütterung?
Nicht nur Profi- und Hobbysportlerinnen und -sportler sind davon betroffen. Auch im Alltag kann es zu einem Schlag auf den Kopf oder Nackenbereich kommen. Die Beraterinnen und Berater bei concordiaMed, der 24-h-Gesundheitsberatung der CONCORDIA, wissen, wie man sich im Falle einer möglichen Gehirnerschütterung verhalten soll. In jedem Fall gilt: Ausruhen und ärztlichen Rat einholen!
- Bei einem harten Schlag auf den Kopf oder Nacken: Sportliche Aktivitäten sofort abbrechen.
- Unbedingt zeitnah ärztlich abklären lassen, ob eine Gehirnerschütterung vorliegt – auch ohne «sichtbare» Symptome und Verletzungen.
- Je nach ärztlicher Empfehlung körperlich und geistig ausruhen.
- Verlauf und Intensität der Symptome genau beobachten.
- Sportlerinnen und Sportler sollen erst nach medizinischer Freigabe und schrittweisem Belastungsaufbau wieder ins Training einsteigen.
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