Ein Mädchen erzählt einer Frau eine Geschichte.

Sprachentwicklung: Wenn Kinder reden lernen

Die Sprachentwicklung von Kindern ist erstaunlich. Schon bevor sie selbst das erste Wort sprechen können, verstehen sie unglaublich viel. Und danach geht es rasant weiter. Doch wie entwickelt sich die Sprache beim Menschen?

   Kurz und einfach

Reden lernen ist für Kinder einfach.
Sie brauchen dazu andere Menschen.
So können sie die Worte erleben.
Sie probieren das gerne selber aus.

Kinder werden mit einem ausgeprägten Potenzial für Sprache geboren. Richtig spannend wird es aber, wenn sich das «Reden» während der ersten Lebensjahre entwickelt. Dann offenbaren sich die faszinierenden Fähigkeiten des kindlichen Gehirns. Eltern können oft nur darüber staunen, zu welchen sprachlichen Leistungen ihre Kinder in der Lage sind, und mit welch rasantem Tempo sich diese entwickeln.

 

Sprachentwicklung nur im Zusammenleben mit Menschen

Wichtig ist aber, dass die Sprachentwicklung zwar mit der zunehmenden Reifung des Gehirns zusammenhängt, dass das Gehirn allein jedoch keine Sprache hervorzubringen vermag. Dafür braucht es vielfältigen sprachlichen Austausch im Zusammenleben mit Menschen. Die Eltern, erwachsene Bezugspersonen, Geschwister und Kinder aus der Umgebung spielen dabei eine wichtige Rolle. Wachsen Kinder isoliert oder nur mit geringen oder keinen zwischenmenschlichen Kontakten auf, so fehlt die sprachliche Stimulation. Sie entwickeln kaum Sprachkompetenzen.

 

Ganzheitliche Aneignung von Sprache

Kinder eignen sich eine Sprache ganzheitlich an. Das bedeutet, sie hören ihren Eltern und anderen Personen in ihrem Umfeld zu und bringen das Gehörte mit Menschen, Tieren, Gegenständen oder Vorgängen in ihrer Umwelt in Beziehung. Eltern müssen ihren Kindern das Sprechen deshalb nicht «beibringen». Dennoch haben sie einen grossen Einfluss auf die Sprachentwicklung ihrer Kinder. Sie ermöglichen dem Kind, durch konkretes Erleben Sprache zu erwerben. Dazu genügt es, wenn sie ihren Kindern Erfahrungen durch die Sprache zugänglich machen. Reden Sie über die gemeinsamen Erlebnisse und ihr Kind lernt automatisch mit.

 

Kindliche Sprachentwicklung: Neue Wörter hören und sagen

Eltern können die Sprachentwicklung ihrer Kinder fördern, indem sie die kindliche Ausdrucksweise zwar inhaltlich, nicht aber in der Form korrigieren. Ist eine Aussage des Kindes nicht korrekt, können Eltern das klarstellen und den Satz auf die richtige Art noch einmal sagen. Es ist jedoch nicht hilfreich, wenn die Eltern das Kind zum Wiederholen der richtigen Form auffordern. Das Kind muss sich die Gesetzmässigkeiten der Sprache selbst aneignen. Das Nachsprechen bestimmter Wörter oder Sätze fördert die Sprachentwicklung nicht. Hilfreich ist dagegen, mit dem Kind auf vielfältige, unterschiedliche Weise zu sprechen. Kinder lieben es, ein neues Wort immer wieder zu hören, es selbst zu sagen und neu zu variieren. Es freut sich über neue Formen im Klang und im Ausdruck.

 

Zweisprachig: Eine zweite Sprache lernen

Haben Sie im Erwachsenenalter bereits versucht, eine Fremdsprache zu lernen? Dann wissen Sie vermutlich, wie schwierig das ist. Die meisten von uns müssen eine Sprache leider analytisch erlernen, endlos Vokabeln büffeln und sich grammatikalische Regeln mühsam einprägen. Wir Erwachsenen sind – bis auf seltene, beneidenswerte Ausnahmen – nicht mehr in der Lage, eine Sprache «einfach» zu erlernen.

Zur Verblüffung von Erwachsenen können die meisten Kinder eine Fremdsprache mit Leichtigkeit und in kurzer Zeit, innerhalb von sechs bis zwölf Monaten, erlernen und akzentfrei sprechen. Das ist eine grossartige Chance für Kinder, welche in einer zweisprachigen Familie oder in einer anderen Kultur aufwachsen. Wenn es Ihnen möglich ist, nutzen Sie diese Chance und ermöglichen Sie Ihrem Kind so – mit wenig Aufwand – den Erwerb einer Zweitsprache.

Ein Mädchen erzählt einer Frau eine Geschichte.

 Tipps von Urs Kiener

Wie kann ich die Sprachentwicklung meines Kindes fördern? 

  •  Jedes Kind entwickelt Sprache in seinem eigenen Tempo. Die Unterschiede von Kind zu Kind können sehr gross sein. Einige Kinder sprechen die ersten Wörter bereits im 10. Monat, andere erst mit 2.5 Jahren. Dass Eltern dadurch verunsichert werden können ist sehr verständlich. Grosse Unterschiede in der Sprachentwicklung – genau wie in allen andern Entwicklungsfeldern – sind jedoch normal. Wichtig ist in diesem Zusammenhang: Kinder verstehen in jedem Alter viel mehr, als sie mit eigenen Worten auszudrücken vermögen.
 
  • Eltern und andere Bezugspersonen sollten die Art und Weise, wie sie mit dem Kind sprechen, nicht an der Sprechweise des Kindes ausrichten, also zum Beispiel nicht in die «Babysprache» verfallen. Sagt Ihr Kind beispielsweise ein bestimmtes Wort stets falsch, verwechselt Gegenstände oder Tiere miteinander, etwa Hunde und Katzen, oder entwickelt eine eigene Variation des Wortes, so wiederholen Sie es so, wie man es richtigerweise sagt. Zeigen Sie dem Kind, dass Sie es verstehen, aber vermitteln Sie ihm auf eine liebevolle Weise, wie das Wort richtig ausgesprochen wird. Eine strenge Korrektur ist nichtzielführend. Massstab sollte das Sprachverständnis und die Sprachkompetenz des Kindes sein. Auf diese Weise kann man Kinder in ihrer Sprachentwicklung am besten fördern.
 
  • Über die Hälfte der Kinder stottert vorübergehend. Oft geschieht dies im Alter zwischen zwei und vier Jahren. Dieses Phänomen kann Eltern, insbesondere Ersteltern, stark verunsichern. Stottern gehört zur normalen Sprachentwicklung. Es verschwindet meist nach einigen Wochen oder dann nach wenigen Monaten. Es ist wichtig, dass man in dieser Phase Geduld mit dem betroffenen Kind hat.
 
  • Die beste Sprachförderung ist eine gute Beziehung zum Kind und ein Interesse dafür, wie es lernt, die Welt der Sprache zu entdecken. Reden Sie mit Ihrem Kind am Abend über die Erlebnisse des Tages. Erzählen Sie ihm, was Sie gemacht haben oder fragen Sie es, was ihm an diesem Tag am besten gefallen hat. Wenn das Kind von sich aus bestimmte Aspekte anspricht, zeigen Sie ihm, dass Sie es verstehen und, dass es sich richtig an diese Erlebnisse erinnert. Denken Sie jedoch daran, dass das Kind zuerst ein inneres Bild von einem Erlebnis oder einem Gegenstand entwickelt. In einem nächsten Schritt versteht es die sprachlichen Begriffe dazu. Schliesslich wendet es die Begriffe selbst an.
 
  • Die kommunikative Beziehung zu unseren Kindern beinhaltet nicht nur «Reden» und «Verstehen», nicht nur die gesprochene und geschriebene Sprache, sondern auch die Körpersprache. Mit unserer Körperhaltung, mit den Bewegungen, der Mimik und dem Blickverhalten drücken wir unsere Befindlichkeit aus, und die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen wollen. Daran sollten wir auch denken, wenn wir uns, im Zusammensein mit unseren Kindern, ununterbrochen mit unserem Smartphone beschäftigen, oder wenn wir mit anderen Erwachsenen sprechen. Das Verhalten gegenüber anderen Personen – sowohl nahestehenden als auch fremden – soll als Vorbild für die Kinder wirken.

 

 

Spracherwerb bei Beeinträchtigung

Für Menschen ohne oder mit eingeschränkter Lautsprache stellen sich beim Spracherwerb zusätzliche Herausforderungen. Die sogenannte «Unterstützte Kommunikation» bietet für Betroffene eine Alternative. Über Gebärden, Bilder, Piktogramme oder Tablet mit Sprachausgabe kann Sprachkompetenz erworben und geübt werden. Dabei geht es nicht um den Ersatz von Lautsprache, sondern immer um ergänzende Mittel zusätzlich zur Lautsprache.

Das Netzwerk UK-Schweiz setzt sich dafür ein, dass Menschen ohne Lautsprache Zugang zur Unterstützten Kommunikation erhalten.

Weitere Informationen unter https://uk-schweiz.ch/. Dort sind auch die regionalen Netzwerke für an UK Interessierte aufgeführt.

Kommentare

18. Oktober 2022
Monika Häusermann
Danke Herr Kiener, für den wertvollen Beitrag zur Sprachentwicklung bei Kindern. Ihre Hinweise unterstützen eine kindgerechte alltagsintegrierte Sprachförderung, ein wichtiger Ansatz im Zeitalter des "Förderwahnsinns" im Frühbereich. - Ich beobachte das aus Sicht einer Spielgruppenleitenden. - Besonders in Bezug auf das "Lernen der deutschen Sprache" werden kleine Kinder und deren Eltern durch die Gesellschaft oft unter Druck gestellt. Wir sollten die Kinder im eigenen Tempo lernen lassen.
"Gras wäschst nicht schneller, wenn man daran zieht!"
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